Letzte Woche, Mittwochmorgen, 0.30 Uhr. Durch meine mit Ohropax-Wachs gedämmten Ohrmuscheln höre ich immer wieder meinen Namen. Gerade mal 1,5 Stunden im Bett, voll im Tiefschlaf, träume ich wohl wilde Szenen. Höre meinen Namen immer lauter, eindringlicher, fast panisch – bis ich merke – das ist Realität! Ich lockere einen Wachspfropf und intuitiv rufe ich „JA?“
Da ruft mich Jogi aus seinem Zimmer, er brauche Hilfe. Wie eine Granate katapultiert es mich aus dem Bett, torkle schlaftrunken in Windeseile zu ihm rüber, da finde ich ihn auf seinem Bett mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Nach dem Ende des Fußballspieles wollte er sich ins Bett begeben, rollte sich auf einer Körperhälfte auf die Matratze und verspürte einen stechenden Schmerz im rechten Knie, konnte es nicht mehr durchstrecken, war dauergebeugt. Was tun???
Nach 7 Monaten hatten wir es ja noch nicht geschafft, uns nach einem geeigneten Krankenhaus mit qualifiziertem Personal, dazu der englischen Sprache mächtig, zu informieren.
Durch eine Bekannte hatte ich zwei Namen von Hospitälern erhalten, die man als Europäer aufsuchen könnte. Ich gab Joachim den Zettel und seinen iPad und er recherchierte. Ich zog mich an, runter in Keller die Gehhilfen holen. Raus in mein Auto und erst mal Rückbank zurückklappen damit der Beifahrersitz ganz nach hinten geschoben werden kann. Dann das erste Mal sein Auto aus der Einfahrt bewegen, im Dunkeln das lange breite Gefährt raus auf die total zugeparkte Straße fahren. Musste erst mal schauen, wie das Auto überhaupt angeht und wie die Automatik funkt. Dann meines raus, seines wieder als erstes in die Einfahrt und meines rückwärts rein, damit er leichter einsteigen kann. Was habe ich geflucht und geschwitzt!
Dann wieder rein in die Wohnung, Geld, Versicherungskarte, Ausweis, Handy packen. Joachim notdürftig anziehen und versuchen, ihn ins Auto zu bekommen. Dann mit Straßenkarte und schlechtfunktionierender Handynavigation das von ihm auserkorene Krankenhaus finden. Nachdem wir einem zufällig vorbeifahrenden Notarztwagen folgten, fanden wir es dann.
Aufnahme klappte wunderbar, ein Spezialist wurde gerufen. Leider sprach dieser nur dürftig englisch. Nach schmerzhaften Dehnungsversuchen, um überhaupt röntgen zu können, wurden wir dann irgendwann entlassen und waren gegen 5 Uhr in der Frühe wieder zu Hause. Am Vormittag sollten wir zum MRI ins angegliederte Gesundheitszentrum und dann mit den Bildern und dem Bericht zu ihm in die Praxis kommen. Seine Visitenkarte bekamen wir. Was nun der Grund war, wussten wir immer noch nicht. Doch zum Glück kann mein lieber Gatte seinen Netdoktor befragen. Jogi gehört zu der Spezies Patient, die erstmal das Netz befragen, dann die Aussage des Arztes abwarten und dann kommen die ABER, WARUM, ICH DENKE, IST ES NICHT SO DASS, ICH HABE GELESEN …
An Schlaf wollte mein Geist gar nicht denken, zumal von 6 – 7.15 Uhr an Schultagen die verschiedensten Schulbusse in der Straße vor den einzelnen Häusern so lange hupen, bis die lieben Kinderlein ihren Allerwertesten aus dem Haus bewegen. Da kann pro Schulbus beim Hupen schon mal auf 9 gezählt werden! Zum Glück schlief Jogi. Und ich wollte in dieser restlichen Nacht auf meine Ohrstöpsel verzichten.
Somit saß ich also mal wieder bei Google Maps und recherchierte die Direktfahrt von zu Hause ins Krankenhaus und von dort zum Arzt.
Klappte dann auch wunderbar. Allerdings war der MRI Report erst am späten Nachmittag fertig. Wir also nur mit den Aufnahmen zum Arzt und dann kam für uns die große Verwunderung. Die Praxis menschenleer, nicht mal ein PC, er konnte die Bilder nicht auswerten, wollte unbedingt nur den Report, der ihm dann per E-Mail nach Hause zu gehen sollte. Jegliches Vertrauen in sein Können war natürlich dahin.
Wir wieder nach Hause und Joachim rief dann einen Bekannten an, der hier unglaublich viele „wichtige“ Leute kennt und dieser kannte auch einen sehr angesehenen renommierten Orthopäden, Studium in Irland, bei dem bekamen wir allerdings erst am Samstag einen Termin. Donnerstag und Freitag war hier Feiertag. Wir überlegten, nach Deutschland zu fliegen, waren hin- und hergerissen.
Am Freitagfrüh um 1 Uhr landete jedoch auch unser Sohnemann, der uns für 3 Tage besuchen wollte. Dies war schon vorher geplant und gebucht. War sehr schön, dass er hier war, doch leider war er nur mit uns zu Hause oder im Krankenhaus. Wie beim Besuch im Dezember hat unser Jogi schlapp gemacht und die Pläne bezüglich Unternehmungen ein wenig durcheinandergebracht.
In dieser Nacht also auch kaum Schlaf.
Am Samstagfrüh alle Mann hoch in ein anderes Krankenhaus, auch der Bekannte war mit dabei. Natürlich habe ich wieder Google Maps befragt, die Praxis angegliedert im Krankenhaus, top modern ausgestattet. Da der Arzt aufgrund eines Notfalls in der Notaufnahme aufgehalten wurde, warteten wir ungefähr 2 Stunden und die ca. 30 Sitzplätze waren alle belegt, die Patienten standen im Flur Schlange.
Was soll ich sagen, es hätte nicht besser sein können. Er schaute die Bilder an, Bericht interessierte ihn nicht, erklärte, demonstrierte und zeichnete, und wir wussten ganz genau Bescheid, welche Art von Meniskusschaden vorhanden war. Sofort wurde versucht, für den nächsten Tag eine OP zu verlegen, damit Jogi drankäme. Die Schmerzen waren die Hölle und die Zeit eilte. Der Arzt diktierte auf Englisch in ein Aufnahmegerät und am angeschlossenen PC wurde fehlerfrei der Bericht direkt wie von Zauberhand ins Formular getippt. Sohnemann war fasziniert! Auch ich habe sowas noch nie live gesehen.
Gestern Morgen um 7 hab ich dann Jogi ins Krankenhaus gebracht, um 17 Uhr wieder abgeholt und er lief ohne Krücken, fast schmerzfrei von dannen. Ich kann ihn nur beneiden und freue mich so für ihn!

aus seinem Krankenzimmer

aus seinem Krankenzimmer
Er bekommt natürlich die verschiedensten Medikamente, macht ständig seine Turnübungen, soll alle 30 Minuten auf ebener Strecke laufen, und täglich einen Kilometer mehr laufen. Noch keine Treppen oder Steigungen. Heute waren wir zur Kontrolle, am Samstag folgt die nächste.
Sohnemann ist heute auch wieder abgeflogen. War so schön, dass er da war, auch wenn wir gar nichts unternehmen konnten.
Zum Schluss muss ich noch erwähnen, dass uns überall nur mit größter Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gegenübergetreten wurde. Ob man sich nun sprachlich verstand oder nicht, ob es der Parkplatzwächter, der Putzmann, die Schwester oder ein Arzt war – überall so eine Freundlichkeit – selbst gestern am Telefon, als ich verzweifelt versucht habe, im Aufwachraum etwas über Jogi zu erfahren. Oder vor den Krankenhauseingängen einfach mein Auto stehen lassen darf, da der Wächter ein Einsehen hat, wenn Frau daher fährt und die Krücken aus dem Auto holt und ihrem Mann hilft. Oder immer und überall ein Rollstuhl zur Verfügung steht, und man diesen kostenfrei innerhalb des Gebäudes so lange nutzen darf, bis man ihn vertrauenswürdig wieder zurückbringt.
Wir sind zuversichtlich – alles wird gut.
Bis bald, Karin